Historischer Rückblick - "Die Geschichte des weißen Stocks"

Autor der folgenden Geschichte ist Philip Strong. Phil war im ACB-Büro („ACB“ steht für „American Council of the Blind“, Anm. d. Red.) ein engagierter Fürsprecher für die Sicherheit von Fußgängern.

Der weiße Stock ist nicht nur ein Hilfsmittel, das man gebrauchen kann, um Selbständigkeit zu erlangen; gleichzeitig ist er ein Symbol der blinden Bürgerinnen und Bürger in unserer Gesellschaft. Um die vielen Leistungen blinder und sehbehinderter Amerikaner zu ehren und um die Bedeutung des weißen Stocks für die Förderung der Selbständigkeit anzuerkennen, begehen wir alljährlich den 15. Oktober als „Verkehrssicherheitstag des weißen Stocks“. Heute dient der weiße Stock als Blindenhilfsmittel und Symbol zugleich. Dies war jedoch nicht immer der Fall.

Im Laufe der Geschichte haben Langstock, Stab und Stock als Mobilitätshilfen für blinde und sehbehinderte Menschen gedient. Berichte aus biblischer Zeit zeigen, dass der Hirtenstab dem Alleinreisenden als Hilfsmittel diente. Der Blinde benutzte ihn, um Hindernisse auf seinem Weg zu entdecken. Jahrhundertelang wurde der „Stock“ lediglich als Mobilitätshilfsmittel verwendet. Erst im 20. Jahrhundert wurde, wie wir heute wissen, seine Verwendung durch Blinde als Symbol gefördert, das andere auf den Umstand hinweisen sollte, dass der Betreffende blind oder sehbehindert war.

Der Ursprung dieser neuen Funktion des weißen Stocks fiel in die Dekaden zwischen den beiden Weltkriegen, ausgehend von Europa und sich dann ausbreitend auf Nordamerika. James Biggs aus Bristol erhob den Anspruch, den weißen Stock im Jahre 1921 erfunden zu haben. Nach einem Unfall, der ihm das Augenlicht raubte, musste der Künstler sich in seiner Umwelt zurechtfinden. Biggs fühlte sich durch den zunehmenden Autoverkehr in seiner Umgebung bedroht. Deshalb beschloss er, seinen Spazierstock weiß anzumalen, damit die Autofahrer ihn besser erkennen konnten. Seinen Platz in der Gesellschaft erhielt der weiße Stock jedoch erst zehn Jahre später. Im Februar 1931 startete Guilly d’Herbemont in Frankreich eine nationale „Weißer-Stock-Bewegung“ für blinde Menschen. Britische Zeitungen berichteten über die Kampagne, was zu einem ähnlichen Projekt führte, das von den Rotary Clubs im gesamten Vereinigten Königreich gefördert wurde. Im Mai 1931 empfahl die BBC in ihren Sendungen, blinde Menschen mit einem weißen Stock zu versorgen, der weltweit als Symbol anerkannt werden könnte, das anzeigt, dass sein Träger blind oder hochgradig sehbehindert ist.

In Nordamerika wird die Einführung des weißen Stocks dem Lion’s Club International zugeschrieben. 1930 beobachtete ein Lions-Mitglied, wie ein blinder Mann versuchte, eine belebte Straße zu überqueren, wobei er einen schwarzen Stock verwendete. In der Erkenntnis, dass der schwarze Stock für Autofahrer kaum sichtbar war, beschloss der Lions Club, den Stock weiß zu streichen, um seine Sichtbarkeit für den nahenden Verkehr zu verbessern. 1931 startete der Lion’s Club International ein nationales Programm zur Förderung des Gebrauchs des weißen Stocks für blinde Menschen. In den 20er und 30er Jahren des vergangenen Jahrhunderts hielten Blinde beim Gehen den Stock diagonal in einer bestimmten Position, wobei der weiße Stock die symbolische Rolle als Erkennungszeichen übernahm.

Als die blinden Veteranen aus dem 2. Weltkrieg nach Amerika heimkehrten, wurden Form und Gebrauch des weißen Stocks jedoch weiter verändert in dem Bemühen, den Veteranen die Rückkehr zu einer aktiv teilnehmenden Lebensführung zuhause zu verhelfen.

Der Arzt Richard Hoover entwickelte die „Langstock-“ oder auch „Hoover-Methode“ der selbständigen Fortbewegung mit dem Stock. Seine weißen Stöcke waren für den Einsatz als Mobilitätshilfsmittel konzipiert, gaben dem Stock also seine ursprüngliche Rolle zurück, behielten jedoch dabei gleichzeitig ihre symbolische Funktion als Zeichen blinder Selbständigkeit bei. Während dieses Zeitraums fand der weiße Stock allmählich seinen Weg in die Regierungspolitik im Sinne eines Blindensymbols.

Die erste spezielle Rechtsverordnung zum weißen Stock wurde im Dezember 1930 in Peoria, im Bundesstaat Illinois, verabschiedet. Sie gewährte blinden Fußgängern, die den weißen Stock trugen, Schutz und Vorrang im Straßenverkehr. Im Jahre 1935 begann der US-Bundesstaat Michigan, den weißen Stock als Erkennungszeichen für blinde Menschen zu fördern. Am 25. Februar 1936 wurde von der Stadt Detroit eine Verordnung verabschiedet, die den weißen Stock anerkannte. Zur Förderung der neuen Verordnung fand eine Demonstration im Rathaus statt, bei der blinde und sehbehinderte Menschen mit ihren Langstöcken vorgestellt wurden. Im folgenden Jahr schrieb Donald Schuur einen Gesetzentwurf und brachte diesen in die Parlamentskammer des US-Bundestaates Michigan ein. Dieser Gesetzesvorschlag gewährte dem Träger des weißen Stocks Schutz und Vorrang auf den Straßen des Staates Michigan. Gouverneur Frank Murphy unterzeichnete den Entwurf im März 1937 und setzt ihn damit in Kraft.

Anfang der 60ziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts drängten mehrere staatliche Organisationen und Rehabilitationseinrichtungen blinder und sehbehinderter Menschen in den Vereinigten Staaten den Kongress, den 15. Oktober eines jeden Jahres in allen 50 Bundesstaaten zum Verkehrssicherheitstag des weißen Stocks auszurufen. Dieses Ereignis markierte einen Höhepunkt im langjährigen Bestreben der Blindenselbsthilfe nach sowohl staatlicher als auch nationaler Anerkennung. Am 6. Oktober 1964 wurde eine gemeinsame Resolution des Kongresses (HR 753) angenommen und in Kraft gesetzt, die den Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika ermächtigte, den 15. Oktober eines jeden Jahres zum „Verkehrssicherheitstag des weißen Stocks“ zu erklären.

In der Resolution heißt es: „Auf Beschluss des Senates und des Repräsentantenhauses wird der Präsident hiermit ermächtigt, jährlich eine Erklärung herauszugeben, die den 15. Oktober als Verkehrssicherheitstag des weißen Stocks bestimmt und die Bevölkerung der Vereinigten Staaten von Amerika dazu aufruft, den entsprechenden Tag in geeigneter Weise mit Feierlichkeiten und Aktionen zu begehen.“ Schon wenige Stunden nach der Verabschiedung der Kongressresolution ging Lyndon B. Johnson als erster Präsident in die Geschichte ein, der den 15. Oktober zum Verkehrssicherheitstag des weißen Stocks ausrief.

Die Proklamation durch den Präsidenten unterstreicht die Bedeutung des Gebrauchs des weißen Stocks sowohl als Hilfsmittel als auch als sichtbares Symbol. In der ersten Proklamation zum weißen Stock lobte Präsident Johnson die blinden Menschen wegen ihres wachsenden Geistes der Selbständigkeit und zunehmenden Willens zu einem eigenverantwortlichen und würdevollen Leben. Er sagte u.a.: „Der weiße Stock ist in unserer Gesellschaft zu einem Symbol für die Fähigkeit blinder Menschen geworden, selbständig zu kommen und zu gehen. Sein Gebrauch hat das zuvorkommende Miteinander und die Chancen für selbständige Mobilität blinder und sehbehinderter Menschen auf unseren Straßen und Bundesstraßen gefördert.“

Seit 1964 haben in den meisten Jahren die Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika den 15. Oktober als Verkehrssicherheitstag des weißen Stocks ausgerufen. Am 15. Oktober 2000 erinnerte Präsident Bill Clinton uns erneut an die Geschichte des weißen Stocks als eines Hilfsmittels und an dessen Zweck als Blindensymbol. „Mit geeignetem Training können Menschen, die den weißen Stock benutzen, größere Mobilität und Sicherheit im Straßenverkehr genießen, indem sie mit seiner Hilfe Bordsteinkanten, Treppenstufen, unebene Fußwege und andere physische Hindernisse erfassen. Der weiße Stock hat ihnen die Freiheit gegeben, selbständig zur Schule oder Arbeit zu gelangen und am Leben in der Gemeinschaft im vollen Umfang teilzuhaben. Er erinnert uns daran, dass die einzigen Barrieren für Menschen mit Behinderungen diskriminierende Einstellungen und Vorkehrungen sind, die unsere Gesellschaft ihnen häufig in den Weg legen. Lassen Sie uns, indem wir den Verkehrssicherheitstag des weißen Stocks 2001 begehen, die Geschichte des weißen Stocks in Erinnerung rufen, seine Entstehung als Hilfsmittel und Symbol zugleich, das uns durch die Geschichte hindurch begleitete; als Geschichte eines Stocks der Selbständigkeit. Erinnern wir uns jedoch gleichzeitig auch an die Ereignisse, die es uns erlaubt haben, den 15. Oktober als Verkehrssicherheitstag des weißen Stockes feierlich zu begehen.“

Philip Strong

Der amerikanische Originaltext wurde dem Deutschen Blinden- und Sehbehindertenverband (DBSV) freundlicherweise vom New Jersey Council of the Blind zur Verfügung gestellt (Übersetzung: DBSV).

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